Offener Frühstücks-Treff „Gut für die Seele“ – Ein Angebot der Beratungsstelle „Ruhepunkt“ des Krisendienstes Mittelfranken

Beratung und Begleitung für ältere Menschen mit psychischen Erkrankungen in Nürnberg

Heiner Dehner und Meike Lezius, Förderverein ambulante
Krisenhilfe e. V.

Wenn im Alter die Seele leidet – nach wie vor werden psychische Erkrankungen im Alter übersehen
Alt, einsam und psychisch krank – wenn ältere Menschen an Depressionen oder Ängsten leiden, ist es für sie auch heute noch keine Selbstverständlichkeit, sich Hilfe und Unterstützung zu holen. Viele Senioren scheuen den Weg in eine Beratungsstelle. Sie haben Bedenken, offen über ihre Erkrankung, über ihr Leid zu sprechen. Die Ängste vor Stigmatisierung sind nach wie vor groß.

Dabei ist die Anzahl der Betroffenen seit Jahren hoch: Ca. 25 % aller Senioren sind gerontopsychiatrisch erkrankt. Neben Depressionen und Ängsten können zum Beispiel Demenzerkrankungen, Alkohol- und Medikamentenabhängigkeiten oder Wahnstörungen auftreten.

Eine aktuelle Studie in sechs europäischen Ländern, an der 3. 100 Menschen zwischen 65 und 85 Jahren teilnahmen, erbrachte noch höhere Zahlen. Rund ein Drittel der befragten Menschen in dieser Altersgruppe war innerhalb der vergangenen zwölf Monate an einer psychischen Störung erkrankt. Am häufigsten verbreitet waren Angsterkrankungen (17 %) und Depressionen (14 %).

Die Gründe für eine fehlende Inanspruchnahme von Fachärzten oder gerontopsychiatrischen Tageskliniken, ambulanter Psychotherapie oder Gruppenan-geboten sind vielfältig. Manchmal fällt es den Betroffenen schwer, selbst zu erkennen und sich einzugestehen, dass „die Seele leidet“ und behandlungs-bedürftig ist. Häufig sind die verschiedenen Anlaufstellen und möglichen Hilfen schlicht nicht bekannt. Nicht selten werden Depressionen im Alter auch von Angehörigen oder Fachleuten übersehen.

Wenn ein älterer Mensch sich zurückzieht, seine Freundschaften nicht mehr pflegt oder kein Interesse mehr zeigt an bisher regelmäßig ausgeübten Freizeitaktivitäten, wird dies manchmal auf das Alter und die nachlassenden Kräfte zurückgeführt und nicht an eine behandlungsbedürftige Depression gedacht.

Auch in Nürnberg waren Senioren mit psychischen Erkrankungen im Krisendienst und in vielen relevanten Beratungsstellen, wie zum Beispiel den sozialpsychiatrischen Diensten deutlich unterrepräsentiert. Der Anteil der über 60-Jährigen lag in den Jahren vor Beginn des Projektes im Krisendienst durchschnittlich bei 5 %.

Die Beratungsstelle „Ruhepunkt“
2012 entstand deshalb die Idee, ein spezielles Angebot für ältere Menschen mit psychischen Belastungen zu schaffen, das durch besonders niedrigschwellige Angebote den Zugang zu Hilfen erleichtert.

Seit 2013 bietet der Förderverein ambulante Krisen-hilfe e. V. mit dem „Ruhepunkt“ in Nürnberg eine spezielle Beratungsstelle für Senioren in schwierigen Lebenssituationen an. Das Angebot der Beratungsstelle umfasst Einzelberatung (telefonisch, persönlich, Hausbesuche), Fallmanagement für ältere Menschen in komplexen Krisensituationen, Einzelberatung von Angehörigen, die Schulung von Mitarbeitern der Alten- und Gesundheitshilfe sowie die Aufklärung der Öffentlichkeit über Potentiale und Ressourcen älterer Menschen bezüglich psychotherapeutischer Interventionen oder der Nutzung psychosozialer Hilfen.

„Frühstücks-Treffs“ für psychisch kranke Senioren
Im Rahmen dieser Beratungsstelle wurden in Kooperation mit den Nürnberger Seniorennetzwerken in vier Stadtteilen sogenannte „Frühstücks-Treffs“ für ältere Menschen mit psychischen Erkrankungen aufgebaut.

Ziele

Das erklärte Ziel der quartiersbezogenen Frühstücksgruppen ist es, über den Austausch in einer angeleiteten Selbsthilfegruppe eine Stabilisierung psychisch kranker und teilweise suizidaler Senioren zu erwirken. Im Einzelnen bedeutet dies eine Unterstützung im Hinblick auf:

  • Wahrung, Schutz oder Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen mit psychischen Belastungen
  • Unterstützung älterer Menschen in der Bewältigung von Krisensituationen, Entwicklung von Lebensperspektiven und Entlastung durch Austausch in der Gruppe
  • Aufbau neuer sozialer Kontakte
  • Stärkung von Selbsthilfepotenzialen und gegenseitige soziale Unterstützung
  • Präventive Vermeidung einer weiteren Verschlechterung der psychischen Verfassung
  • Stabilisierung der Lebenssituation und Schaffung von zeitlichen Strukturen durch die regelmäßigen Treffen
  • Suizidprävention für Senioren in schwierigen Lebenslagen.

Zielgruppe

Mit den wohnungsnahen Stabilisierungsgruppen sollen Senioren erreicht werden, die mit einer psychischen Erkrankung leben müssen oder von einer dauerhaften seelischen Behinderung bedroht sind.

In der Regel ausgenommen sind Menschen mit Demenz, da für diese Zielgruppe bereits über die Fachstellen für pflegende Angehörige und die Angehörigenberatung e. V. Nürnberg vielfältige Beratungs-und Betreuungsmöglichkeiten, Gruppen- und Freizeitangebote in Nürnberg angeboten werden.
Konzept der „Frühstücks-Treffs“:

  • Gruppengröße von acht bis zehn Personen
  • alle zwei Wochen vormittags von 10.00 – 12.00 Uhr
  • dreigeteilter Ablauf
    1. Geselligkeit durch gemeinsames Frühstück („Ich bin Teil einer Gemeinschaft, hier bin ich gerne gesehen und geschätzt“)
    2.Befindlichkeitsrunde („Man wird getragen mit und trotz all seiner schweren seelischen Verletzungen und Belastungen“)
    3. Stabilisierungsphase („Es gibt neben all dem Schweren auch noch unbelastete Momente, deren Leichtigkeit

Beispielhafte Themen in den Gruppen

  • Umgang mit Depressionen oder Ängsten (zum Beispiel Austausch über medikamentöse und psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten)
  • Umgang mit Konflikten mit Angehörigen
  • Trauer nach dem Tod eines nahestehenden Menschen
  • Freizeitgestaltung (zum Beispiel Angebote in den Stadtteilen für Senioren)
  • Umgang mit körperlichen Erkrankungen und Einschränkungen
  • Suche nach geeigneten Hilfsmöglichkeiten wie hauswirtschaftlichen und pflegerischen Hilfen
  • Beratungsstellen zu speziellen Themen wie Vorsorgevollmacht oder finanzielle Hilfen

2015 nahmen insgesamt 25 Personen regelmäßig an den Gruppen teil, 2016 waren es 32 Klienten. Sechs Interessenten wurden zum Beispiel an Trauergruppen oder Freizeitangebote weitervermittelt, weil keine gerontopsychiatrische Symptomatik vorlag.

Insgesamt fanden im Jahr 2015 64 Treffs statt, dabei wurden 327 Kontakte dokumentiert. Im Jahr 2016 wurde das Angebot weiter ausgeweitet und die Anzahl der Treffs auf 84 mit 445 Kontakten erhöht.

Die Teilnehmer sind zwischen 61 und 89 Jahren alt. Rund 40 % der Teilnehmer sind 80 Jahre und älter, fast die Hälfte ist zwischen 70 und 79 Jahre alt. Die häufigsten psychischen Probleme betreffen Depressionen und Ängste. In Einzelfällen nehmen Ältere mit Borderline-Störung, Schizophrenie, beginnender Demenz oder posttraumatischen Verbitterungsstörungen teil.

Teilnehmeranzahl im Jahr 2016

Stadtteile Termine Klienten Teilnehmer
Insgesamt 84 38 445
St. Jobst 21 9 125
Gartenstadt/Siedlungen Süd 20 6 65
Langwasser 21 11 130
St. Leonhard/Schweinau 22 12 125

Prävention

1. Suizidprävention durch quartiersbezogene Stabilisierungsgruppen

Ich wusste keinen Ausweg mehr, mein Leben war ein einziges Chaos, ich wollte nicht mehr weiterleben. Die Hausbesuche und die anschließenden Gespräche hier in der Gruppe haben mich gerettet, sonst wäre ich jetzt nicht mehr da.

Die Wirksamkeit einer Suizidprävention durch „Verbundenheit mit Anderen“ wurde in verschiedenen Modellprojekten belegt. In Nürnberg haben wir mit dem Versuch in Form der niedrigschwelligen „Frühstücks-Treffs“ zeigen können, dass ältere Menschen, die akut suizidal sind oder auch immer wiederkehrende suizidale Phasen in ihrem Leben haben, durch die Einbindung in eine angeleitete Selbsthilfegruppe stabilisiert werden können.

2. Vermeidung von Rückfällen und somit Krankenhausaufenthalten durch Hinführung zu ambulanten/teilstationären Hilfen (Sekundärprävention)

Ich habe mein Leben lang alles allein geschafft, früher hat mir auch niemand geholfen, das schaffe ich jetzt auch.

Manchmal lassen sich ältere Menschen schnell auf einen Facharztbesuch oder eine Einweisung in eine Tagesklinik ein. Nicht selten braucht es jedoch Zeit, bis jemand bereit ist, im Alter Hilfe anzunehmen. Unterstützung durch professionelle oder ehren-amtliche Helfer anzunehmen bedeutet in gewissem Maße, sich in die Abhängigkeit von jemand anderem zu begeben und wird nicht selten als Autonomie-verlust erlebt. Die Ablehnung von Hilfe ist nicht selten in der Angst vor Fremdbestimmung begründet.

Der Austausch in der Gruppe ermöglicht es den Teilnehmern, Ängste abzubauen und sich auf Hilfen einzulassen. Wenn jemand in der Gruppe über seine positiven Erfahrungen in der gerontopsychiatrischen Tagesklinik, bei einem Facharzt oder in einer Psychotherapiepraxis berichtet, ebnet das den Weg für andere, selbst therapeutische Hilfe anzunehmen.

Finanzierung und Förderung

Die Beratungsstelle „Ruhepunkt“ wird vom Förderverein ambulante Krisenhilfe e. V. getragen und umfasst eine Halbtagesstelle (20 Std. ), die mit einer Sozialpädagogin mit Zusatzqualifikation Diplom-Gerontologin besetzt ist. Die Stelle wurde bis Februar 2017 im Rahmen einer vierjährigen Projektförderung anteilig über Aktion Mensch e. V. mitfinanziert. Darüber hinaus wird die Finanzierung durch Honorareinnahmen (durch Informations- und Fortbildungs-veranstaltungen) sowie Spenden- und Sponsoring-mittel mitgetragen. Die Beratungsstelle ist räumlich und fachlich an den Krisendienst Mittelfranken angebunden und profitiert zum Beispiel durch gemeinsame Fallbesprechungen, die Übernahme von Vertretungen sowie die Gewährleistung eines Notfalldienstes außerhalb der zeitlich begrenzten Arbeitszeiten des „Ruhepunkts“.

Die Mitarbeiterin der Beratungsstelle „Ruhepunkt“ begleitet die Frühstücks-Treffs fachlich. Räumlich-keiten für die Gruppen werden kostenfrei durch die Kooperationspartner in den Seniorennetzwerken zur Verfügung gestellt.

Qualitätssicherung und Dokumentation

Die Treffen werden im Hinblick auf Teilnehmerzahl, Geschlecht und Art der psychischen Erkrankung dokumentiert. Darüber hinaus wird dokumentiert, wenn weitere fachliche Hilfe in Anspruch genommen wird (zum Beispiel fachärztliche Behandlung, Psychotherapie, Trauerberatung).

Kooperationspartner

Das Angebot der quartiersbezogenen Stabilisierungsgruppen wurde in enger Kooperation mit den Nürnberger Seniorennetzwerken entwickelt und wird in derzeit vier Stadtteilen umgesetzt. Das Seniorenamt und in der Regel ein Wohlfahrtsverband oder ein anderer Träger sozialer Arbeit übernehmen gemeinsam im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung die Modellverantwortung für ein Seniorennetzwerk, in dem trägerübergreifend jeweils verschiedene Akteure und bürgerschaftlich engagierte Menschen zusammenarbeiten.

Kontakt

Förderverein ambulante Krisenhilfe e. V.
Ansprechpartner:
Meike Lezius, Heiner Dehner
Hessestraße 10, 90443 Nürnberg
Telefon: 0911-4248-5515
lezius@krisendienst-mittelfranken.de
www.krisendienst-mittelfranken.de

Stand der Projektinformation: Juli 2017