Gefühlswellen
Eine Ausstellung des Bamberger Netzwerks „KRISE NACH DER GEBURT“
Alexandra Hölzlein, Landratsamt Bamberg – Fachbereich Gesundheitswesen
Psychische Erkrankungen nach der Geburt
Nach den Zahlen des Bayerischen Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung, erkranken allein in Oberfranken jährlich ca. 1350 Frauen an einer postpartalen psychischen Erkrankung. Trotz der relativen Auftretenswahrscheinlichkeit (Prävalenz 15-20%) ist der Informationsstand in der Bundesrepublik sowohl in der Bevölkerung, als auch unter Professionellen relativ gering. Verglichen mit Ländern wie England oder den Niederlanden, wo es sogar spezielle Beratungsstellen für dieses Thema gibt, wird die Thematik in Deutschland bisher recht stiefmütterlich behandelt. Diese Situation ist kaum nachzuvollziehen. Zum einen kann die Erkrankung erhebliche Folgen für die Mutter, aber vor allem auch für die Entwicklung des Kindes haben, zum anderen haben die postpartalen psychischen Erkrankungen bei schneller Behandlung sehr gute Prognosen. Deshalb ist weitere Aufklärung dringend notwendig und ökonomisch.
Über die vielfältigen körperlichen Veränderungen und Komplikationen während und nach der Schwangerschaft werden die meisten Schwangeren hinreichend gut informiert. Die psychischen Komplikationen, die während und vor allem nach der Geburt auftreten können, werden aber nach wie vor stark ausgeblendet und tabuisiert.
Und nicht nur Frauen sind betroffen. Auch Männer können an einer postpartalen Krise erkranken. Das Risiko dafür steigt, wenn die Mütter unter einer psychischen Störung nach der Geburt leiden. Eine australische Studie zeigt auf, dass 9% der Väter unter depressiven Verstimmungen und Ängsten leiden. Wie auch bei den Frauen, spielen mehrere Faktoren bei der Entstehung einer postpartalen Krise eine Rolle. Die Schwangerschaft und Geburt erfordern vielfältige Anpassungsprozesse, die für beide Eltern belastend sein können. Vorerkrankungen und eine genetische Disposition, aber auch gesellschaftliche Entwicklungen, wie der Wegfall von schützenden Übergangszeiten, können die Entstehung von Krisen nach der Geburt begünstigen. Folgende psychische Erkrankungen können auftreten:
- Postpartale Psychose: Diese kann sich recht dramatisch innerhalb von Stunden entwickeln. Unruhe, Rastlosigkeit, wahnhafte Ideen z.B. „ich bin des Bösen, mein Kind muss vor mir geschützt werden“ oder „alles was ich anfasse ist verseucht“ sind typische, aber für die Umwelt befremdliche Symptome. Die Prävalenz für die postpartale Psychose wird mit 1:1000 Geburten angegeben. Für die Betroffenen ist es die wohl dramatischste Störung. Im schlimmsten Fall besteht für die Mutter und Kind Lebensgefahr (erweiterter Suizid). Die Krankheitseinsicht ist hier nicht gegeben, weshalb Angehörige gut informiert sein müssen, um angemessen reagieren zu können.
- Postpartale Depressionen: Diese entwickelt sich manchmal dramatisch, oft aber auch sehr schleichend innerhalb von Monaten. Es dominiert negatives Denken, bzw. vollkommene Emotionslosigkeit. Oft versuchen die Betroffenen die Depression zu überspielen, weshalb sie auch „smiling depression“ genannt wird. Scham- und Schuldgefühle sind hier sehr dominant, weshalb Betroffene sich sehr schwer tun, sich zu öffnen und sich selbst Hilfe suchen. Auch übertriebene und quälende Ängste können Symptome einer postpartalen Depression sein. Auch hier ist die Sensibilität der Umwelt gefragt, um Betroffenen helfen zu können.
- Postpartale Angststörungen: Stehen immer wieder auftretende schwere Angst- und/ oder Panikgefühle im Vordergrund, so handelt es sich um ein eigenes Krankheitsbild. Die Ängste können mit den oben genannten Symptomen einer postpartalen Depression einhergehen. Bei den konkreten Ängsten stehen meist das Baby und sein Wohlergehen im Zentrum. Die betroffenen Mütter fürchten dann beispielsweise, das Kind könnte durch falsche Behandlung Schaden nehmen oder sogar versterben.
- Postpartale Zwangserkrankungen: Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen dominieren den Alltag und das Handeln. Bei Zwangsgedanken handelt es sich um aufdringliche Ideen, Gedanken, Bilder oder auch Impulse. Zwangshandlungen sind sinnlos oder zumindest übertrieben empfundene Handlungen, zu denen sich betroffene Frauen innerlich gedrängt fühlen. In der Folge wird das gesamte Familienleben von den Zwängen stark beeinträchtigt. Die Zwänge können so dominant und quälend sein, dass sich die Frauen vollständig zurückziehen und ihr Alltagsleben nicht mehr bewältigen können.
Bei allen Formen ist es äußerst wichtig, dass auch Angehörige dazu befähigt werden, mit den entsprechenden Symptomen umzugehen und sich gegebenenfalls Hilfe zu suchen, weil die Betroffenen aus unterschiedlichen Gründen dazu kaum in der Lage sind!
Bisheriger Stand ist, dass Angehörige oft vollkommen ratlos den psychischen Veränderungen gegenüber stehen, aber auch Professionelle (Hebammen, Gynäkologen) eher überfordert auf die Situation reagieren.
Warum eine Ausstellung?
Mit der bundesweit einmaligen Ausstellung ist ein Medium geschaffen worden, was in einfacher, aber umfassender Form über die Symptome und Behandlungsmöglichkeiten der einzelnen Krankheitsbilder informiert. Von Beginn an war es das Ziel, das Thema an die Orte zu bringen, an denen schwangere Frauen, junge Mütter und Väter angetroffen werden. Niedergelassene Gynäkologen, Hebammen, Kliniken, Schwangerenberatungsstellen und Kindertagesstätten sind mögliche Standorte. In den Praxen und Beratungsstellen ist Raum oft knapp, daher wurde eine sehr kompakte und mobile Ausstellung konzipiert.
Zielgruppen
- Schwangere Frauen und deren Angehörige
- Professionelle wie Gynäkologen, Hebammen und Therapeuten
- Allgemeinbevölkerung
Ziele
- Breitenwirksame Aufklärung über mögliche Symptome und Hilfsmöglichkeiten bei postpartalen psychischen Problemen
- Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung und bei Professionellen
- Information über lokale Hilfsmöglichkeiten
- Enttabuisierung
- Verbesserung der Versorgungsangebote durch Information und Vernetzung von Kliniken, Hebammen, Schwangerschaftsberatungsstellen, Fachärzten und Therapeuten
- Langfristige Verbesserung der Unterstützungsangebote für betroffene Frauen und ihrer Familien
- Angestrebt wird eine flächendeckende, die bereits vorhandenen Ressourcen nutzende Vernetzung der Angebote
- Fachliche Fortbildungen für Hebammen, Ärzte, Gynäkologen in Kombination zur Ausstellung
Wie sieht die Ausstellung aus?
Die auf kleinem Raum wirkende Ausstellung ist gut transportierbar und deckt drei inhaltliche Bereiche ab:
- Information über die Störungsbilder (postpartale Erkrankungen, wie Psychose, Depression, Angststörung, Zwangserkrankung)
- Einblicke in die Innenwelt von Betroffenen durch Zitate, Selbstaussagen etc.
- Hilfsmöglichkeiten regional und überregional
Die Ausstellung umfasst Roll-ups, Banner, Fußmatten, Sitzwürfel, Broschüren und Flyer, die inhaltlich von einer mit dem Thema vertrauten Psychotherapeutin und eine in der Beratung tätigen Sozialpädagogin verfasst wurden. Optische Gestaltung durch eine erfahrene Graphik Designerin.
Es werden vielfältige Materialien angeboten, um eine breite Masse an Personen erreichen zu können. Diese können für verschiedene Orte, wie gynäkologische Praxen, Hebammen-, Allgemeinarzt und Kinderarztpraxen, in Schwangerenberatungsstellen, Wöchnerinnenstationen, sowie in Kindergärten/ -krippen und Mehrgenerationenhäusern eingesetzt werden. Die genannten Einrichtungen eignen sich als Ausstellungsorte besonders gut, da hier (werdende) Eltern und gleichzeitig auch Angehörige oder Freunde von betroffenen Müttern und Vätern auf das Krankheitsbild und das breite Hilfsangebot aufmerksam gemacht werden können. Aber auch Professionelle, wie Ärzte, Hebammen und Therapeuten können durch diese Ausstellung erreicht werden.
Die Ausstellung kann z.B. wie folgt eingesetzt werden. Bereits im Eingangsbereich soll die Aufmerksamkeit der Besucher auf am Boden liegende Fußmatten, auf welchen nur Schlagworte zum Thema aufgeführt sind, gelenkt werden. In den Wartezimmern geben Sitzwürfel Informationen zum Thema. Im Empfangsbereich werden durch drei aufgestellte Roll-ups oder Banner Informationen über die Störungsbilder (postpartale Erkrankungen, wie Psychose, Depression, Angststörung, Zwangserkrankung) gegeben. Außerdem erhält der Betrachter durch Zitate und Selbstaussagen Einblicke in die Innenwelt von Betroffenen. Ein weiterer wichtiger Aspekt den die Ausstellung thematisiert, sind die regionalen und überregionalen Hilfsangebote, wie Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, Kliniken und ambulante Therapiemöglichkeiten
Die Begleitbroschüre führt in die Thematik „Krisen nach der Geburt“ ein, erläutert die Krankheitsbilder, zeigt Hilfsmöglichkeiten auf und verweist auf mögliche Anlaufstellen für Betroffene, Angehörige und Freunde.
Je nach Räumlichkeit und Platz können auch einzelne Elemente gebucht werden. Informationen und Bilder zur Ausstellung stehen auf der Website
www.krise-nach-der-geburt.de, die vom Fachbereich Gesundheitswesen am Landratsamt Bamberg gepflegt wird, zur Verfügung.
Wo steht die Ausstellung?
Gynäkologische Praxen, Hebammenpraxen, Kinderarztpraxen, Schwangerschaftsberatungsstellen, Allgemeinarztpraxen, Wöchnerinnenstationen, verschiedene stationäre Einrichtungen, Geburtshäuser, Mehrgenerationenhäuser, Sozialpsychiatrische Dienste, Gesundheitsämter, Kindergärten, Kinderkrippen, Öffentliche Bauten (Bücherei, Einwohnermeldeamt etc.)
Finanzierung und Ausstellungsbedingungen
Die Ausstellung wurde mit Geldern der Oberfranken Stiftung und des Bayerischen Sozialministeriums finanziert. Der laufende Ausstellungsbetrieb wird aus Haushaltsmittel des Landkreises Bamberg und des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit finanziert.
Die Kosten für zwei Ausstellungen incl. Broschürendruck beliefen sich auf 4.000 Euro. Die Ausstellung kann überregional verliehen werden. Für Entleiher aus der Region Bamberg ist der Verleih kostenfrei. Überregional fallen 50 Euro Leihgebühr (incl. 50 Broschüren) plus Versandkosten an.
Dokumentation
Die Ausstellung wurde nach der Eröffnung überregional an acht Standorten in Bayern und jeweils einmal im Saarland und in der Schweiz (Basel) eingesetzt. Die Rückmeldungen der Entleiher sind durchweg positiv. Die Ausstellung wird als sehr gut einsetzbar und leicht handhabbar wahrgenommen. Die Form der Informationsdarstellung und der kompakte Umfang an Information werden als ausgewogen beschrieben. Die Broschüre mit der Nennung möglicher Hilfsangebote hat bei den Ausstellungsbesuchern und -besucherinnen eine hohe Akzeptanz.
Seit Frühjahr 2013 wird den Entleihern ein Fragebogen zur Ausstellung beigefügt. Dieser dient zur Dokumentation und Prozessevaluation. Erste Ergebnisse werden im Frühjahr 2014 vorliegen.
Initiatoren des Projektes
Netzwerk „Krise nach der Geburt“ am Landratsamt Bamberg, Fachbereich Gesundheitswesen
www.krise-nach-der-geburt.de
Alexandra Hölzlein
Landratsamt Bamberg/Fachbereich Gesundheitswesen
Ludwigstraße 25, 96052 Bamberg
Tel. 0951-85 665
alexandra.hoelzlein@lra-ba.bayern.de