"fit 4 u!"
Ein Präventionsprogramm zur Vermeidung und Verminderung von Übergewicht bei Auszubildenden der Audi AG Ingolstadt
Initiation, Koordination und wissenschaftliche Begleitung durch das Institut und die Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der LMU München im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie mit dem Titel "Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen und von Diabetes mellitus durch Gesundheitsförderung übergewichtiger Auszubildender"
Anlass
Übergewicht (Body Mass Index > 25) und Adipositas (krankhafte Fettsucht, Body Mass Index > 30) rechnet die WHO zu den schwerwiegendsten Gesundheitsrisiken des Jahrhunderts. Die Zahl Übergewichtiger nimmt weltweit dramatisch zu. Auch der Anteil der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen hat laut Aussage des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys seit 1985 um 50 Prozent zugenommen. Übergewicht hat dramatische Auswirkungen auf die Gesundheit: Ein erhöhter Body Mass Index (BMI) ist mit einem stark erhöhten Risiko für schwerwiegende Erkrankungen, insbesondere Herzinfarkt, Schlaganfall und Diabetes mellitus, verbunden.
Die meisten dieser Erkrankungen treten erst im Erwachsenenalter auf. Übergewicht von Jugendlichen beeinflusst dieses Risiko entscheidend.
Die primäre Prävention der oben genannten Erkrankungen erfordert eine frühzeitige Kontrolle der Körpergewichtes. Jugendliche im Alter von 16 bis 17 Jahren, die Zielgruppe des vorliegenden Präventionsprogramms, befinden sich in einer besonders dynamischen Lebensphase. Aufgrund der Tatsache, dass sich einerseits zu Beginn der Berufstätigkeit grundlegende Gewohnheiten hinsichtlich Ernährungs -und Bewegungsverhalten prägen, und dass andererseits die Jugendlichen während der Ausbildungszeit flächendeckend gut zu erreichen sind, erscheint ein Präventionsprogramm bei dieser Zielgruppe sinnvoll und gut durchführbar.
Konzeption, Ablauf und Ziel des Gesamtprojektes
Das Präventionsprojekt dauert im Kern ab dem Beginn im Frühjahr 2007 zwei Jahre und wird bei der Audi AG in Ingolstadt von der Arbeitsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München in Kooperation mit dem Audi Bildungswesen und dem betriebsärztlichen Dienst von Audi sowie der Medizinischen Hochschule Hannover und der Katholischen Universität Eichstätt für die Ausbildungsjahrgänge 2006 und 2007 durchgeführt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt den wissenschaftlichen Teil, die Audi BKK die praktische Durchführung finanziell. Der Hintergrund des Projektes besteht darin, dass der Anteil der übergewichtigen Auszubildenden bei der Audi AG in den letzten Jahren immer stärker zugenommen hat und laut Aussage des Audi Gesundheitsdienstes im Ausbildungsjahrgang 2006 23 Prozent und im Ausbildungsjahrgang 2007 sogar 24 Prozent beträgt.
Um die Folgeerkrankungen bei ihren Beschäftigten langfristig zu verhindern und ihre Belegschaft möglichst gesund und leistungsfähig zu halten, möchte die Audi AG rechtzeitig einen Hauptrisikofaktor für Erkrankungen im späteren Lebensalter ausschalten. Daher wurde das vorliegende Präventionsprojekt zusammen mit der LMU ins Leben gerufen. Das Projekt verfolgt zwei Ziele:
- Verhinderung des Auftretens von Übergewicht durch verhältnispräventive Maßnahmen: Diese werden allen Auszubildenden des Jahrganges 2006 zu teil und umfassen einen Gesundheitsunterricht an der Berufsschule, ein umfangreiches Sportangebot sowie eine Verbesserung des Speisenangebotes in der Kantine des Bildungswesens.
- Reduktion von bestehendem Übergewicht durch verhaltenspräventive Maßnahmen: An diesen können nur Auszubildende der Ausbildungsjahrgänge 2006 und 2007 mit einem Body Mass Index (BMI) von mindestens 25 auf freiwilliger Basis teilnehmen. Es werden eine Ernährungsberatung, ein Sportprogramm sowie für die Hälfte der Teilnehmer im Rahmen einer randomisierten Studie ein so genanntes "Life Skill Training" durchgeführt.
Verhaltenspräventive Maßnahmen für Übergewichtige
Für die verhaltenspräventiven Maßnahmen für Übergewichtige erfolgte nach der schriftlichen Einverständniserklärung, ggf. auch durch die Eltern bei Minderjährigen, die Einbestellung zur ärztlichen Eingangsuntersuchung. Dieser Check Up, der ein Jahr und zwei Jahre nach Studienbeginn wiederholt wird, um Effekte der Interventionen zu evaluieren, fand für jeden Teilnehmer geteilt in drei Einzeltermine statt:
TERMIN 1: Ärztliches Gespräch durch die betreuende Studienärztin einschließlich Familien-, Genussmittel- und Ernährungsanamnese, Fragebögen zu soziodemographischen Daten, Freizeit-, Bewegungs-und Sportverhalten, körperliche Untersuchung, ernährungsmedizinische Basisdiagnostik, sportmedizinische Untersuchung.
TERMIN 2: Nüchternblutentnahme von Parametern zur Erfassung des kardiovaskulären Risikos; danach als " Belohnung" und zur Stärkung des Gruppengefühls gemeinsame Einnahme eines "Fitnessfrühstücks". Anschließend psychometrische Testung durch den mitarbeitenden Psychologen.
TERMIN 3: Ärztlicher Besprechungstermin mit der Studienärztin. Alle Untersuchungsergebnisse wurden im Einzelgespräch gründlich mit den Patienten besprochen. Basierend auf ihren ausgefüllten Ernährungsprotokollen wurden die Teilnehmer den individuellen Essvorlieben entsprechend ernährungsmedizinisch beraten.
Nach den Eingangsuntersuchungen begann die Ernährungsberatung in Gruppen. Das Sportprogramm hat im Herbst 2007 zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres begonnen.
Der Check Up für Auszubildende aus dem Einstellungsjahrgang 2007 mit BMI > 25 wurde zu Beginn ihrer Ausbildung im Herbst durchgeführt; Ernährungsberatung und Sport für diese Gruppe haben ebenfalls bereits begonnen. Die Verlaufsuntersuchungen werden im Frühjahr 2008 und 2009 stattfinden.
Insgesamt konnten für den verhaltenspräventiven Teil zur Reduktion von Übergewicht aus dem Jahrgang 2006 26 und aus dem Jahrgang 2007 34 Auszubildende gewonnen werden.
Verhältnispräventive Maßnahmen für alle Auszubildenden
Der verhältnispräventive Teil des Projektes findet für alle Auszubildenden des Jahrganges 2006 statt und läuft ebenfalls über zwei Jahre. Er beinhaltet einen Gesundheitsunterricht im Rahmen der Berufsschule zur Vermittlung von Wissen über salutogenes Verhalten, ein breites Sportangebot sowie eine Verbesserung des Speisenangebotes in der Kantine. Durch die Projektanteile Verhaltensprävention und Verhältnisprävention sollen bei allen Auszubildenden die beiden Ziele erreicht werden, gesundheitsbewusstes Verhalten in Bezug auf Ess-und Bewegungsgewohnheiten bereits in der Ausbildungszeit zu fördern und somit einerseits Übergewicht zu vermeiden und andererseits durch gezielte Lifestyle-Modifikation in Form von langfristiger Ernährungsumstellung sowie vermehrter regelmäßiger sportlicher Betätigung Übergewicht zu reduzieren bzw. zu vermeiden.
Konkrete Maßnahmen zur Realisierung der Präventionsziele
Die verhältnispräventiven Maßnahmen bestehen aus folgenden Elementen: Gesundheitliche Themen wie gesunde Ernährung, Übergewicht und Suchtverhalten werden in von der Katholischen Universität (KU) Eichstätt eigens dafür entworfenen Unterrichtsprojekten im Rahmen der Berufsschule bearbeitet.
Die Sportprogramme, organisiert und konzipiert von Sportstudenten der KU Eichstätt, werden auf freiwilliger Basis im Anschluss an die Ausbildung und in örtlicher Nähe zum Ausbildungsort ab Anfang November stattfinden und möglichst stark Elemente des Ausdauertrainings beinhalten (s.u.).
Ferner wird eine Verbesserung des Kantinenessens im Bildungswesen der Audi AG angestrebt. Zu diesem Zweck wurde das Speisenangebot in der Kantine und dem angeschlossenen SB-Shop durch eine Ernährungsmedizinerin (betreuende Studienärztin) analysiert. Die Defizite samt Verbesserungsvorschlägen wurden der Audi AG unterbreitet. Ab Ende Oktober wird probeweise für vier Wochen der Speiseplan in der Kantine umgestellt. Mittels eines eigens dafür entwickelten Fragebogens werden während dieser Zeit die Zufriedenheit mit dem Speisenangebot und evtl. Verbesserungsvorschläge und Wünsche unter den Auszubildenden ermittelt, um ein gesundes Speisenangebot anbieten zu können, welches den Bedürfnissen der Zielgruppe entspricht und damit von ihr auch gerne angenommen wird.
Die gewichtszentrierte verhaltenspräventive Intervention (= Standardintervention) zur Verminderung des Risikos für die (Weiter-) Entwicklung einer Adipositas orientiert sich in Inhalt und Frequenz an den Empfehlungen der Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindesalter (a-g-a) sowie an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Sie enthält neben Ernährungsberatung auch Bewegungs- und verhaltenstherapeutische Elemente. Zunächst zur Ernährungsschulung:
In 22 Doppelstunden über zwei Jahre werden neben grundsätzlichen Informationen zu Adipositas und kardiovaskulären Erkrankungen ernährungs-, bewegungs-und gewichtsbezogene verhaltenstherapeutische Techniken (Verhaltensmodifikation) kombiniert eingesetzt.
Die Ernährungsschulung (Beginn nach den Eingangsuntersuchungen) erfolgt in Kleingruppen à max. 8-10 Jugendlichen. Interventionsfrequenz:
- Gruppenfrequenz im ersten Monat: wöchentlich ("Intensivphase")
- Gruppenfrequenz in den Monaten 2 bis 4: alle zwei, später alle vier Wochen ("Etablierungsphase")
- Gruppenfrequenz in den Monaten 5 bis 8: Nach einer Boosterphase im Anschluss an die Sommerferien zuerst alle vier, später alle acht Wochen ("Aufrechterhaltungsphase")
- Gruppenfrequenz in den Monaten 9 bis 24: Individuelle Beratung nur bei auftretenden Schwierigkeiten, Booster-Gruppentreffen alle drei Monate ("Betreute Entlassung in den Alltag").
Die Schulungen werden von einer Ernährungsmedizinerin (betreuende Studienärztin) sowie von zwei Ernährungswissenschaftlerinnen im Anschluss an die Ausbildung in der Freizeit der Auszubildenden durchgeführt. Schulungsgrundlage ist ein von der Studienärztin eigens für dieses Projekt entwickeltes, speziell auf die Bedürfnisse von jugendlichen Auszubildenden zugeschnittenes Manual.
Die Schulungen beinhalten zur Stärkung von sozialen Kompetenzen und zum Aufbau eines "Wir"-Gefühls vor allem Gruppenarbeiten und praktische Umsetzung des Gelernten in Form von gemeinsamen Kochabenden oder Genussübungen wie z.B. Eisessen.
Das Sportprogramm für die übergewichtigen Auszubildenden wird ab Anfang November von Studierenden und Pädagogen der KU Eichstätt (s.o.) an mehreren Tagen pro Woche je 90 Minuten durchgeführt (für jede teilnehmende Person ein Termin/ Woche). Angeboten werden Ausdauersportarten wie Schwimmen, Basketball. Zur Verstärkung der sozialen Komponente und um den Jugendlichen eine Integration von Bewegung in den Alltag zu ermöglichen, wurde auf dem Gelände des Bildungswesens von Audi ein Fitnessraum mit Tischtennisplatte, Hometrainer, Stepper etc. eingerichtet, den die Auszubildenden z.B. im Sinne einer "aktiven Mittagspause" während der Ausbildungszeit nutzen können.
Das so genannte "Life Skill Training" wird von einem ausgebildeten psychologischen Verhaltenstherapeuten mit Erfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen ab Januar in Gruppen zu je 15 Teilnehmern durchgeführt werden. Aus wissenschaftlichen Gründen wird dieser Interventionsteil im Rahmen der intensivierten Intervention jedoch nur der Hälfte der Studienteilnehmer nach randomisierter Zuteilung angeboten. In mehreren Sitzungen an Projekttagen in Blockform sollen mittels videogestützter Rollenspiele, Gruppenarbeiten und praktischen Übungen soziale Kompetenzen wie Empathie und Kommunikationsfähigkeit, aber auch Persönlichkeitseigenschaften wie die Fähigkeit zur Stressbewältigung oder das Selbstbewusstsein gestärkt und trainiert werden.
Qualitätssicherung, Dokumentation und Evaluation
Die Koordination, ärztliche Betreuung und wissenschaftliche Begleitung erfolgt durch die Studienärztin und die Studienleiter an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Medizinischer Hochschule Hannover und Katholischer Universität Eichstätt.
Ausblick
Die Interventionen (Ernährungsberatung) wurden bereits in Form eines Manuals konzeptionell zur weiteren Verwendung für zukünftige Präventionsprojekte zusammengefasst. Wünschenswert wäre eine feste Integration der Interventionsbausteine in die innerbetriebliche Ausbildung bei Audi.
Bei den Auszubildenden handelt es sich überwiegend um Angehörige der Unter -und unteren Mittelschicht. Da in diesen sozial benachteiligten Schichten eine entsprechende Gesundheitserziehung durch Eltern unterbleibt und die Prävalenz von Übergewicht dort gleichzeitig besonders hoch ist, will das vorliegende Projekt auch einen Beitrag zur gesundheitlichen Chancengleichheit leisten.
Kontakt
Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial und Umweltmedizin
Klinikum der Universität München
Ziemssenstraße 1, 80336 München
Ansprechpartner:
PD Dr. med. Peter Angerer (Studienleiter)
Peter.angerer@med.uni-muenchen.de
Dr. med. Julia Meidenbauer (Studienärztin)
Julia.meidenbauer@med.uni-muenchen.de
Tel. 089-5160-5302
In Kooperation mit:
Prof. Dr. med. Harald Gündel (Studienleiter)
Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover
guendel.harald@mh-hannover.de
Thomas Graf (Studienpsychologe)
thomas.graf@dw-hohenbrunn.de
Prof. Dr. phil. Hans-Ludwig Schmidt
Lehrstuhl für Gesundheitspädagogik, Katholische Universität Eichstätt
hans-ludwig.schmidt@ku-eichstaett.de
Dr. med. Wolfgang Hilla und Anke Manthey
Audi AG Gesundheitsschutz
wolfgang.hilla@audi.de, anke.manthey@audi.de
Stand der Projektinformation: 2007