Älter werden in der Gesunden Gemeinde: Angebote gestalten, Potentiale nutzen
Regionalkonferenz für Bayern in Nürnberg
Tagungsbericht
Am 11. Februar 2015 veranstaltete das ZPG in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) eine Tagung in der bundesweiten Reihe „Gesund und aktiv älter werden“. Durch die Tagung führte ZPG-Leiter Martin Heyn. Carina Junk, Studentin der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, war im Rahmen ihres Praktikums im ZPG dabei und berichtet hier über die Veranstaltung.
„Mit dem Altwerden ist es wie mit dem 'Auf-einen-Berg-Steigen': Je höher man steigt, desto mehr schwinden die Kräfte - aber umso weiter sieht man.“
Mit diesem Zitat des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergmann eröffnete Dr. Henriette Albrecht vom Bayerischen Staatsministerium Gesundheit und Pflege die Tagung, in deren Mittelpunkt der demographische Wandel und die damit verbundenen Aufgaben, Herausforderungen und Chancen standen. Gesunde Lebensweisen zu stärken, damit Menschen im Alter möglichst lange selbstständig und selbstbestimmt bleiben könnten, sei ein wichtiges Ziel der Gesundheitsinitiative Gesund.Leben.Bayern., betonte Albrecht. Auch der Bayerische Präventionsplan werde einen Schwerpunkt auf die Prävention im Alter setzen.
„Es geht uns darum, Bedingungen zu schaffen, in denen Menschen gesund sein können.“
Dr. Andreas Zapf, Präsident des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), hob in seinem Grußwort die Wichtigkeit der Veränderung von Strukturen hervor. Daran knüpfte Theresia Rohde von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln an. Gesundheitsförderung müsse alltagsnah sein und regional angeboten werden. Die Zielgruppe selbst solle in die Entwicklung von Programmen und in die Diskussion einbezogen werden. Auf die Heterogenität der Zielgruppe müsse geachtet und eingegangen werden: „Wir können und sollten uns an Beispielen guter Praxis orientieren.“
„Engagement ist ein ideales Präventionsprogramm.“
Uwe Amrhein, Leiter des Generali Zukunftsfonds, wies auf die Herausforderungen hin, die die demographische Entwicklung in Deutschland mit sich bringe. Um diese erfolgreich bewältigen zu können, sei ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel notwendig. Da müsse auch der Begriff „Arbeit“ neu definiert werden: Arbeit dürfe nicht mehr nur mit Erwerbsarbeit gleichgesetzt werden, sie sei vielmehr auch ehrenamtliches Engagement, das Übernehmen gelegentlicher Aufgaben gegen ein kleines Honorar oder Familienarbeit wie beispielsweise die Betreuung von Enkelkindern. Die Wirtschaft müsse auf die demografische Entwicklung reagieren. Der Abbau von Altersgrenzen, flexible Arbeitszeiten oder die Qualifizierung von über 50-Jährigen komme Arbeitnehmern entgegen und entschärfe eine drohende Überbelastung der nächsten Generation.
Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hat auch im Alter eine große Bedeutung. Nach der Generali Altersstudie, an der 4.000 Männer und Frauen im Alter von 65 bis 85 Jahren teilnahmen, haben Autonomie und produktives Tätigsein im Alter große Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit. 49% der Befragten engagieren sich gesellschaftlich; rund ein Drittel von ihnen (29%) hat erst im Alter damit begonnen. Statistisch gesehen ist in keiner anderen Bevölkerungsgruppe das Engagement so groß wie in dieser. Ein Argument mehr gegen das noch oft vorhandene defizitäre Altersbild!
„Vielfalt, Achtsamkeit, Miteinander lernen“
Prof. Dr. Manfred Wildner, Leiter des Landesinstituts Gesundheit am LGL, sprach zur Vielfalt des Alterns. Ein langes und gelungenes Leben definiere sich nicht nur durch gewonnene Lebensjahre, sondern auch durch eine angemessene Lebensqualität im Alter. Zentral ist dabei die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Teilhabe und des eigenverantwortlichen Lebens. Ein differenziertes Altersbild müsse gefördert werden, um Vielfalt im Alter zu ermöglichen. Das Verhältnis zwischen den Generationen ist mit Achtsamkeit und Respekt zu gestalten.
„Nicht alles ist selbstwirksam zu bestimmen.“
Dr. Joseph Kuhn, Leiter der Bayerischen Gesundheitsberichterstattung am LGL, stellte Daten zur Gesundheit im Alter vor – aus Bayern und darüber hinaus. Etwa ein Fünftel der deutschen Bevölkerung ist heute über 65 Jahre alt; durch die hohe Lebenserwartung ist die Lebenszeit nach Renteneintritt mittlerweile länger als die Kinder- und Jugendzeit.
Die überwiegende Mehrheit der Senioren fühlt sich erfreulicherweise gesund und jünger, als sie tatsächlich ist. Dennoch hat die Selbstwirksamkeit ihre Grenzen, betonte Kuhn: Erkrankungen, Pflegebedürftigkeit und die damit verbundenen Krankenhausaufenthalte werden im Alter naturgemäß häufiger. „Manches muss man nehmen, wie es kommt. Nicht alles ist selbstwirksam zu bestimmen.“ Der daraus entstehende Bedarf an Pflegekräften sei in Deutschland bei weitem nicht gedeckt. In Studien werden für die Zukunft Defizite von bis zu 500.000 Pflegekräften prognostiziert. Aufgaben für Politik und Gesellschaft werde es in den kommenden Jahren sein, neben dem Ausbau der Altersmedizin die Chancen auf ein gesundes Altern durch demografieorientierte Prävention zu verbessern.
Aspekte des Alterns: Diskussion in Fachforen
Prof. Dr. Julika Loss von der Universität Regensburg beschäftigte sich in ihrem Forum mit der Bedeutung des Sozialen Umfelds. Ein funktionierendes soziales Netzwerk biete (nicht nur!) alten Menschen Unterstützung im Alltag, sondern wirke sich zudem positiv auf die Lebenserwartung aus. Die Gemeinschaft und soziale Integration im Rahmen gemeindenaher Angebote sei deshalb von besonderer Bedeutung.
Prof. Dr. Alexander Kurz von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Technischen Universität München berichtete über die unterstützende Wirkung kognitiver und physischer Aktivität im Hinblick auf die psychische Gesundheit älterer Menschen. Gezielte Übungen würden die geistige Leistungsfähigkeit unterstützen und depressiven Verstimmungen entgegen wirken.
Prof. Dr. Klaus Schilling von der Julius-Maximilian-Universität Würzburg informierte über aktuelle Entwicklungen im Bereich der Technik. Ein von ihm mit entwickeltes Projekt sind Roboterfahrzeuge, die Senioren in ihrer Mobilität unterstützen und diese so lange wie möglich aufrechterhalten sollen. In dermedizinisch-technisch Informatik arbeite man an Möglichkeiten, den medizinischen Aufwand durch unterstützende Technik zu reduzieren, beispielsweise durch Geräte, die eine Dialyse zuhause und zu einem beliebigen Zeitpunkt ermöglichen. Die Technik, betonte Prof. Dr. Schilling immer wieder, solle Pflegekräfte und die damit verbundene zwischenmenschliche Komponente nicht ersetzen. Sie solle vielmehr unterstützend wirken.
Aus der Praxis für die Praxis
Drei Beispiele erfolgreicher Projekte aus der Praxis gaben einen Eindruck von der Breite der Möglichkeiten in der Prävention für und mit älteren Menschen. Anna Streber von der FAU Erlangen informierte über das Programm „GESTALT“ – Gehen, Spielen, Tanzen als lebenslange Tätigkeit, das mit mentalen, physischen und sozialen Komponenten und bewegungsorientierten Angeboten zur Vorbeugung demenzieller Erkrankungen beitragen soll.
Bewegungskurse sind auch ein Teil des Sturzpräventionsprogramms „Trittsicher durchs Leben“, das Michael Holzer von der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) vorstellte. Neben den Bewegungsübungen gehören zum Programm auch die Untersuchung der Knochengesundheit und die Beratung rund um die Sicherheit in Haus und Hof.
Großes Interesse fand auch das umfassende Präventions- und Bewegungsangebot für Senioren, das Dr. Wolfgang Hasselkus, Allgemeinmediziner, in der Stadt Rödental aufgebaut hat. Geschulte „Häusliche Hilfen“ bieten Unterstützung im Alltag und übernehmen gleichzeitig ein motorisches Training mit Seniorinnen und Senioren zuhause. Aufgebaut wurde u.a. ein Fitness-Studio mit Galileo-Übungsgeräten.
„Die Kunst des Lassens“
Zum Abschluss der Konferenz betrachtete Prof. em. Dr. Hanspeter Heinz das Älterwerden aus ethischer Sicht. Er stellte ein Gebet Teresa von Avilas aus dem 16. Jahrhundert vor. Sie war im Alter von 20 Jahren in den strengen Orden des Karmel eingetreten und gründete später als Oberin mehrere Reformklöster, bis sie 1582 im Alter von 68 Jahren starb.
Gebet eines älter werdenden Menschen
O Herr, du weißt besser als ich, dass ich von Tag zu Tag älter und eines Tages alt sein werde.
Bewahre mich vor der Einbildung, bei jeder Gelegenheit und zu jedem Thema etwas sagen zu müssen.
Erlöse mich von der großen Leidenschaft, die Angelegenheiten anderer ordnen zu wollen.
Lehre mich, nachdenklich (aber nicht grüblerisch), hilfreich (aber nicht diktatorisch) zu sein.
Bei meiner ungeheuren Ansammlung von Weisheit erscheint es mir ja schade, sie nicht weiterzugeben – aber du verstehst, o Herr, dass ich mir ein paar Freunde erhalten möchte.
Bewahre mich vor der Aufzählung endloser Einzelheiten und verleihe mir Schwingen, zur Pointe zu gelangen.
Lehre mich schweigen über meine Krankheiten und Beschwerden. Sie nehmen zu – und die Lust, sie zu beschreiben, wächst von Jahr zu Jahr.
Ich wage nicht, die Gabe zu erflehen, mir Krankheitsschilderungen anderer mit Freude anzuhören, aber lehre mich, sie geduldig zu ertragen.
Lehre mich die wunderbare Weisheit, dass ich mich irren kann.
Erhalte mich so liebenswürdig wie möglich.
Ich möchte kein Heiliger sein – mit ihnen lebt es sich so schwer -, aber ein alter Griesgram ist das Krönungswerk des Teufels.
Lehre mich, an anderen Menschen unerwartete Talente zu entdecken, und verleihe mir, o Herr, die schöne Gabe, sie auch zu erwähnen.
Drei Gesten charakterisierten dieses Gebet, so Heinz: „Dankbar empfangen, in Weisheit gestalten, mit Humor lassen“. Sie seien der „naturgegebene Rhythmus des Lebens“. Das Empfangen dominiere die erste Lebensphase, das Gestalten die zweite und das Lassen die dritte. Im Alter müsse man lernen, zu lassen, loszulassen und zuzulassen. Die „Kunst des Lassens“ sei als Akt der Souveränität zu erlernen und zu erleben. Nur so sei es möglich, in Würde zu altern.
Bericht: Carina Junk, Studentin der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule Nürnberg und Praktikantin im Bayerischen Zentrum für Prävention und Gesundheitsförderung im Februar 2015
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Programm "Älter werden in der Gesunden Gemeinde: Angebote gestalten, Potentiale nutzen"
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Älter werden in der Gesunden Gemeinde – Band 3 der Schriftenreihe des ZPG
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